FLOWO: Liebe Frau Schöningh-Alemann, was macht den Pflegeberuf aus Ihrer Sicht besonders wertvoll? Welche Vorzüge bietet er?
Jessica Schöningh-Alemann: Zunächst einmal ist da natürlich die sinnstiftende Aufgabe, helfen zu können. Wenn wir fragen, was die Pflegefachkräfte am meisten motiviert, dann lautet die Antwort ganz oft: Dankbarkeit. Die Dankbarkeit, die man von den Seniorinnen und Senioren zurückbekommt. Das Gefühl, helfen zu können, wird als enorm bereichernd empfunden.
Aber ganz abgesehen von diesem ideellen Faktor hat die Pflege ganz viel zu bieten. Bei Domus Cura gibt es zum Beispiel flexible Arbeitszeitmodelle, mit denen wir auf die Bedürfnisse unserer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer möglichst weit eingehen. Das Dreischichtmodell mit Früh-, Spät- und Nachtschicht ist bei Domus Cura schon längst nicht mehr in Stein gemeißelt. Da in der Pflege jede Hand gebraucht wird, stehen die Chancen gut, dass wir gemeinsam einen Weg finden, die individuellen Bedürfnisse unserer Mitarbeitenden zufriedenzustellen.
Attraktiv ist der Beruf auch wegen der besonders guten Aufstiegs- und Weiterentwicklungschancen. In der Pflege gibt es ganz viele Wege der Spezialisierung, zum Beispiel als Wundmanager, Praxisanleiter oder gerontopsychiatrische Fachkraft. Darüber hinaus können sich Mitarbeitende als Wohnbereichsleitung oder als Pflegedienstleitung qualifizieren uvm. Die Aufstiegsmöglichkeiten sind insbesondere für Frauen sehr gut. Wer will und sich einbringt, kann schnell vorankommen.
Und dann sind da natürlich noch die „Basics“: Als echter Mangelberuf wird man mit einer Ausbildung in der Pflege immer und überall einen Job finden. Der Pflegejob ist äußerst krisensicher. Seit Einführung der tariflichen oder tarifanalogen Bezahlung sind übrigens auch die Gehälter gar nicht schlecht.
Warum ist es dann so kompliziert, geeignetes Fachpersonal zu gewinnen? Wo liegen die größten Herausforderungen mit Blick auf die Personalrekrutierung?
Die Ursachen sind vielfältig, haben im Zusammenspiel aber leider fatale Auswirkungen auf die Personalsituation in der Pflege. Zunächst einmal ist Pflege natürlich von jeher ein klassischer Frauenberuf. Care-Arbeit wurde lange überhaupt nicht wertgeschätzt, was auch in den Gehältern zum Ausdruck kam. Die Politik hat die Pflege über die Jahrzehnte kaputtgespart, gerade die Seniorenpflege musste darunter leiden. Irgendwann waren die Arbeitsbedingungen so schlecht, dass wirklich niemand mehr in der Pflege arbeiten wollte. Die Pandemie hat ein Übriges getan. Erst jetzt erkennt man langsam den Wert professioneller Care-Arbeit.
Darüber hinaus gibt es aber Rahmenbedingungen, die leider insbesondere die Pflege älterer Menschen benachteiligen. Der Umgang mit Alter, Gebrechlichkeit und Tod ist negativ behaftet. Die palliative Begleitung bis zum Lebensende ist aus unserer Sicht hoch anspruchsvoll, viele schrecken jedoch vor Themen wie Gebrechlichkeit und Tod zurück. Es gelingt unserer Ansicht nach nicht gut, diesen Themenkomplex umzudeuten in die anspruchsvolle Aufgabe, die eigentlich dahintersteht. Die Pflegefachkraft im Krankenhaus hat einen Behandlungsjob, das ist in der Gesellschaft nach wie vor relativ gut angesehen. Die Pflegefachkraft in der Seniorenpflege dagegen hat einen „Sozialjob“. Dieser gewandelte und hochmoderne Inhalt des Berufs wird unserer Meinung nach einer breiten Öffentlichkeit nicht richtig vermittelt.
Was tun Sie bei Domus Cura, um als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen zu werden und welche Rolle spielt dabei das Thema Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben?
Wie viele andere Arbeitgebende bieten wir eine ganze Reihe von Benefits an. Darüber hinaus versuchen wir aber vor allem, moderne Arbeitsstrukturen zu schaffen. Dazu gehört, dass wir möglichst viele, verschiedene Arbeitsmodelle anbieten, und zwar in jedweder Qualifikation. Wir nehmen beispielsweise besondere Rücksicht auf die Bedürfnisse von Müttern, die vielleicht erst ihre Kinder fertigmachen und zur Kita oder Schule bringen müssen, bevor sie sich dem Job widmen können. Für sie beginnt die Frühschicht oft zu früh. Das gilt selbstverständlich nicht nur für Mütter – egal aus welchem Grund, wir versuchen, auf die individuellen Anforderungen bei der Arbeitsplanung Rücksicht zu nehmen.
Außerdem sind flache Hierarchien bei uns nicht nur leere Versprechungen. Wir versuchen, mit neuesten Entwicklungen mitzugehen und neue Organisationsmodelle umzusetzen. In einer Einrichtung haben wir aktuell ein Projekt gestartet, bei dem die üblichen Organisationsstrukturen einer Pflegeeinrichtung, die oft sehr hierarchisch sind, aufgelöst werden. Das heißt, wir brechen die Funktion einzelner Positionen auf und verteilen die Aufgaben auf mehrere Mitarbeitende. Das Ziel ist es, dass Mitarbeitende möglichst das tun, was sie am besten können und wo ihre Stärken liegen.
Bei der Dokumentation setzen wir auf Vereinfachung, indem wir mit „Immer-so-Beweisen“ arbeiten. So wird der Dokumentationsaufwand erheblich reduziert.
Grundsätzlich kann man sagen, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine sehr große Rolle in der Pflege spielt, da Frauen in diesem Berufsfeld immer noch in einer deutlichen Mehrheit sind. Wir versuchen, gerade auf die Bedürfnisse von jungen Müttern einzugehen und insbesondere Frauen in ihrer Position zu fördern.
Das heißt, es gibt nicht nur in der Verwaltung, sondern auch in den eigentlichen Pflegeberufen Spielräume für Flexibilität in der Arbeitsorganisation – obwohl hier eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung gewährleistet sein muss?
Das stimmt. Die Pflege ist und bleibt ein Sektor, in dem rund um die Uhr Menschen versorgt sein müssen – 24 Stunden an sieben Tagen pro Woche. Homeoffice gibt es nur dann, wenn nicht direkt am Pflegebett gearbeitet wird. Das setzt unserer Flexibilität gewisse Grenzen. Wir versuchen dennoch, insbesondere für Mütter die Zeiten zu ermöglichen, die ihnen entgegenkommen. Das sind übrigens oft nicht nur die Vormittage. Manche Mütter wünschen sich auch explizit, am Wochenende zu arbeiten. Unter dem Strich entlastet es das gesamte Team, wenn mehr Mütter im Beruf verbleiben, statt diesen aufzugeben.
In zwei Ihrer Einrichtungen wurde im vergangenen Jahr die 4-Tage-Woche getestet. Welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht? Welche Tipps können Sie anderen Unternehmen mit auf den Weg geben, die über die Einführung einer 4-Tage-Woche nachdenken?
Wir haben die 4-Tage-Woche in allen Einrichtungen angeboten und projektweise durchgeführt. Wichtig ist, dass die Eingewöhnungsphase sich über einen längeren Zeitraum erstreckt, sodass die Mitarbeitenden genug Zeit haben, sich an das Modell zu gewöhnen. Das Plus an freien Tagen kann nicht ganz darüber hinwegtäuschen, dass die Arbeitstage sehr lang sind – es wird ja insgesamt nicht weniger gearbeitet. Die vier Arbeitstage sind entsprechend länger, aber danach haben die Mitarbeitenden länger am Stück frei und können sich erholen. Ganz wichtig dabei ist Verbindlichkeit. Der Mitarbeitende sollte insbesondere in der 4-Tage-Woche nicht immer wieder aus dem Frei zur Arbeit geholt werden.
Wir bieten die 4-Tage-Woche nach wie vor auch parallel zur bestehenden 5-Tage-Woche an, sodass auf Wunsch darauf eingegangen werden kann. Unterm Strich: Dort, wo das Arbeitsmodell gut eingeführt und begleitet wurde, war die Resonanz positiv.
Bitte vervollständigen Sie abschließend folgende zwei Sätze:
Wenn ich mir für die Zukunft der Arbeit etwas wünschen dürfte, dann wäre das… mehr Interesse für den Beruf, für die Pflege als solche. Es wäre toll, wenn sich mehr Menschen den Beruf einfach mal unvoreingenommen anschauen würden. Gesellschaftlich sollte der Pflege, insbesondere der Pflege älterer Menschen, der hohe Stellenwert eingeräumt werden, den sie verdient. Schließlich werden wir alle einmal alt.
Wir brauchen in Zukunft mehr flexible Arbeitsbedingungen, weil… Menschen und ihre Lebensentwürfe sich verändern. Starre, veraltete Strukturen müssen aufgeweicht werden. Die Pflege muss von ihrem „das haben wir schon immer so gemacht“ wegkommen. Schließlich verändern sich auch unsere Bewohner. Sie leben bereits viel individuellere Lebensmodelle als noch die Generationen davor. Wir sollten diese Veränderungen ermöglichen und begleiten, statt sie zu bekämpfen.